Akademisierung von Coaching-Weiterbildungen

Die Mitglieder des DBVC Präsidiums greifen in ihrem dritten Positionspapier das Thema der Akademisierung auf. 

DBVC Präsidium

Zum Hintergrund der Positionspapiere des DBVC Präsidiums:

Mit den Positionspapieren werden Überlegungen und Reflexionen der Präsidiumsmitglieder zu aktuellen Themen einer breiteren Fachdiskussion zugänglich gemacht. Ziel ist es, sowohl eine fachliche und gremienübergreifende Diskussion innerhalb des Verbandes als auch einen Diskurs in der interessierten Öffentlichkeit anzuregen. Vorstand und Präsidium laden ausdrücklich zur Diskussion dieses Papiers in den Regionalgruppen und anderen Gremien ein und freuen sich über Feedback an das Präsidium.

Akademisierung von Coaching-Weiterbildungen

März 2019

1. Wie wird Coaching gelernt und gelehrt? 

Coaching-Weiterbildungen sind zunächst als ein Kind der Praxis entstanden, indem reflektierende Praktiker damit begannen, ihre Form beraterischen Handelns an Interessierte „irgend-wie“ weiterzuvermitteln. Erst im Laufe der Zeit entstand ein didaktischer und curricularer Diskurs und suchte Antworten auf die Frage, was man denn können müsse, um als Coach zu arbeiten und wie derartige Kompetenzen wohl zu erwerben wären. Dieser Prozess fortschreitender Klärungsarbeit mit Diskussionen, Konflikten, Meinungen und Experimenten rund um curriculare und methodische Fragen ist per se niemals zu Ende und erfährt durch die Dynamik der Professionsentwicklung periodisch immer wieder neuen Auftrieb.

Die Diskussion um die „Akademisierung“ ist entstanden, weil mit diversen staatlichen und privaten Hochschulen neue Anbieter am Markt auftauchen, die sich vom restlichen Feld mit der Zusage etablierter akademischer Titel zu differenzieren versuchen (1). Vordergründig spielen hierbei Qualitätsdefinitionen entlang klassischer wissenschaftlicher Kriterien eine Rolle, faktisch geht es jedoch auch um die Vermarktung von attraktiv erscheinenden Berufsberechtigungen. Ein kurzer Blick in die entsprechenden Angebote zeigt das sehr deutlich. Wir empfehlen allerdings ausdrücklich und bewusst, die berufspädagogische Fachdiskussion gerade nicht auf dieser Ebene der „Produktkonkurrenz“ zu führen. Es geht gar nicht um die Frage, ob Caching besser innerhalb oder außerhalb der akademischen Subkultur gelehrt und gelernt werden sollte. Vielmehr sehen wir in dieser marktgetriebenen Vielfalt einen produktiven Anlass, einmal mehr über implizite Annahmen, Traditionen und Ambivalenzen der Qualifizierungsarbeit für angehende Coaches nachzudenken. 

2. Coaching – Beratung zwischen Handwerk, Wissenschaft und Kunst 

Beratung ist ein seltsames Geschäft, eine zeitgenössische Spielart jenes „unmöglichen Berufs“, den schon Sigmund Freud für die Psychoanalyse (2) konstatierte. Am ehesten lässt sich die Beratungskompetenz als komplexe Schnittfeldqualifikation kennzeichnen, die u.a. wissenschaftlich, handwerklich, künstlerisch, phänomenologisch und auch „irgendwie ganzheitlich“ geankert ist. Es ist inzwischen über dreißig Jahre her, dass der Philosoph Peter Heintel, einer der großen Theorielieferanten der Beratungswelt, seinen wegweisenden Aufsatz über das Erlernen von Beratung schrieb (3). Das seinerzeit von ihm konzipierte „aufgeklärte Meister-Schüler-Verhältnis“ greift metaphorisch Lernarchitekturen aus dem Bereich des Handwerks und der Kunst auf. Die dort praktizierten Lernformen gibt es seit dem Mittelalter, im Handwerk, in den fernöstlichen Kampfsportarten, in der Malerei, der Musik und anderen Kunstformen.

"Coaching-Weiterbildungen sind zunächst als ein Kind der Praxis entstanden, indem reflektierende Praktiker damit begannen, ihre Form beraterischen Handelns an Interessierte „irgendwie“ weiterzuvermitteln. Erst im Laufe der Zeit entstand ein didaktischer und curricularer Diskurs und suchte Antworten auf die Frage, was man denn können müsse, um als Coach zu arbeiten und wie derartige Kompetenzen wohl zu erwerben wären." 

Ein erstes Betrachtungskriterium wäre folglich, ob auch heute noch in Coaching-Qualifizierungen ein solcher personalisierter und beziehungsverdichteter Lernort konzeptionell vorgesehen ist und realisiert wird oder ob dieser ökonomisch-organisatorischen Zwängen untergeordnet wurde. Und für den Fall akademischer hochschulinterner Coaching-Qualifizierungen wäre sehr achtsam zu klären, ob und wie sich derartige Lernsettings überhaupt mit den Traditionen des akademischen Lehrbetriebs vertragen und dort überhaupt realisierbar sind. Aus unserer Sicht kann auf ein personalisiertes Lernsetting gar nicht verzichtet werden, wenn es um die Übertragung impliziten Wissens geht, also der ergiebigen Wissensquelle, die sich aus Erfahrungen, Erinnerungen und Überzeugungen speist und nur schwer in sprachliche Kategorien zu fassen ist. Die Bedeutung derartiger Lernarrangements ist seit langem bekannt (4) und für die Coaching-Welt vielfach diskutiert (5,6).

3. Instruktionslernen und Erfahrungslernen: Wissen, Können und Sein im Coaching

Lernen wird seit langer Zeit immer noch und immer wieder mit Wissenserwerb verwechselt -das ist ein Erbe der europäischen Aufklärung. Gleichzeitig ist es inzwischen Allgemeingut, dass wirksame Lernprozesse vorwiegend auf sinnlichen und konkreten Erfahrungen beruhen. Und wir wissen nicht erst seit den Überlegungen der Systemtheorie, dass Menschen als „operational geschlossene Systeme“ nicht instruierbar sind; jeder Lehrer kennt den Satz, dass „die Schüler sowieso nur lernen, was sie lernen wollen“. Als zweites Qualitätskriterium wäre also zu betrachten, inwieweit ein Lernprozess in der CoachingWeiterbildung von der Instruktion (Dozieren, Vermitteln, Präsentieren) lebt und welche Bedeutung Erfahrungslernen (Lernexperimente, „Übungen“, Simulationen) im Verlauf des Qualifikationserwerbs haben. Nach wie vor gibt es (zu) oft ein Primat des Kognitiven, insbesondere eben in akademischen Lehrtraditionen. Beim Coaching stellt sich jedoch eher die Frage, wie in der Ausbildung berufliche Handlungskompetenz dahingehend aufgebaut werden kann, dass der Studierende anschließend Menschen in herausfordernden Situationen professionell und im Rahmen seiner eigenen beraterischen Kompetenz verantwortlich beraten kann.

Wenn jedoch gilt, dass ein Coach als Beratungsperson sich selbst das wichtigste Instrument ist, das in der späteren Beratungsarbeit eingesetzt wird (7), dann geht es eben auch darum, während der Ausbildung die eigene Person und die eigene Biographie intensiv in den Blick zu nehmen. Solche „Selbsterfahrung“ didaktisch zu gestalten ist aufwändig und oft nur schwer in kursbezogene Curricula einzubauen, für das personenbezogene Lernen von Wahrnehmung, blinden Flecken und Bewusstheit über eigene Wirklichkeitskonstruktionen aber unverzichtbar. Als ein drittes Qualitätskriterium wäre somit zu prüfen, inwieweit Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung tatsächlich als integrale Bestandteile einer Coaching-Qualifizierung vor-gesehen sind(8).

4. Prüfung oder co-kreative Standortbestimmung?

In Coaching-Qualifizierungen ist es eine häufig geübte Praxis geworden, am Ausbildungsende von den Teilnehmenden eine Prüfungsleistung als Voraussetzung für ein wie auch immer geartetes Zertifikat zu verlangen. Die dabei geübte Prüfungspraxis ist vielfältig und reicht von schriftlichen Wissenstests bis zu Probe-Coachings mit „echten“ Klienten. Die Prüfungsfrage intensiviert sich mit der Akademisierungswelle, weil Hochschulen im Zuge der Akkreditierung von Studiengängen auch Prüfungskonfigurationen entwickeln müssen, die akademischen Denkmustern entsprechen (an Universitäten wird immer noch, z.B. im Jura-Studium nach bestandener Prüfung die „Befähigung zum Richteramt“ ausgesprochen, also an das Absolvieren kognitiver Prüfungsleistungen eine Kompetenzzuschreibung geknüpft). Solch unbekümmertes Herrschaftsgebaren kann sich das Feld der Coaching-Qualifizierung sicher nicht erlauben. Hier liegt ein weitgehend unbearbeitetes Problem: so sehr Prüfungen als Selektions-instrument ein genuiner Teil akademischer Lehr- und Lernprozesse waren und sind, so problematisch ist ihr pädagogischer Beitrag zum Lernerfolg. Diese Erkenntnis ist zwar in der Hochschuldidaktik schon vor Jahrzehnten diskutiert worden (9,10), sie hat aber bislang kaum Eingang in die hochschulinterne Prüfungspraxis gefunden. Prüfungen als Herrschaftsrituale torpedieren bekanntlich pädagogische Bemühungen und beschädigen Lernmotivationen, weil sie entsubjektivieren, das ist seit langem bekannt (11). Das gilt um so mehr, wenn die pädagogischen Aktivitäten umfassender angelegt sind, wie das bei Coaching-Qualifizierungen (hoffentlich) der Fall ist. Als viertes Qualitätskriterium wäre also zu fordern, dass in diesen anspruchsvollen Lernarrangements auf herkömmliche Prüfungen verzichtet wird und stattdessen interaktive Reflexions- und Rückmeldeaktivitäten etabliert werden, welche einen Lernort eigener Qualität darstellen.

Fazit

Je nach Ausgestaltung der Lernorte, je nach Schwerpunktsetzung in der Qualifizierungsarbeit entstehen unterschiedliche Arten von Beratungspersonen und -praktiken. Mit gewisser Sorge beobachten wir eine Entwicklung, wo man schon als junger Mensch „auf Coaching“ studiert und dann glaubte, einen Beruf zu haben, der nun auch in seiner ganzen Bandbreitekompetent auszuüben sei. Derartige Versprechungen der Kompetenzerzeugung oder gar Performanzgarantien finden sich aber durchaus in Lehrgangsbeschreibungen und führen mitunter zu erheblichen Enttäuschungen. Ähnlich wie in der Ausbildung von Ärzten oder Psychotherapeuten reicht ein rein akademisches Studium für eine seriöse Berufsqualifizierung nicht aus.

Nach unserer Überzeugung werden Coaches am ehesten dann mit den vielen Unübersichtlichkeiten unserer Zeit angemessen und nutzbringend umgehen können, wenn sie bereits in ihrer Qualifizierung mit Lernarrangements in Kontakt gebracht werden, die den Umgang mit unsicheren, ambivalenten und nicht eindeutig kategorisierbaren Situationen lehren. Ein fünftes Qualitätskriterium wäre demnach die Schaffung komplexer und ambivalenter Lernsituationen.

Als Orientierung für die Betrachtung und die Bewertung von Coaching-Weiterbildungen bieten wir daher fünf Leitfragen an:

  1. Ermöglicht die Qualifizierung ein „aufgeklärtes Meister-Schüler-Verhältnis“? 
  2. Welche Bedeutung hat Erfahrungslernen im Vergleich zu Instruktionslernen? 
  3. Welchen Stellenwert haben Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung?
  4. Wie wird die Rückmeldung zum Lernfortschritt gestaltet (Prüfung vs. Standortbestimmung)?
  5. Werden ambivalente und komplizierte Lernsituationen gestaltet, die ein reflektierendes Lernen ermöglichen?

Verfasser des Positionspapiers "Akademisierung von Coaching-Weiterbildungen":

Eberhard Hauser (Präsidiumsvorsitzender), Matthias Blenke, Klaus Eidenschink (bis Februar 2019), Mechtild Erpenbeck (ab Oktober 2019), Stefanie Heizmann, Dr. Wolfgang Looss , Dr. Jasmin Messerschmidt, Almut Probst, Dr. Bernd Schmid (Ehrenmitglied), Prof. Dr. Walter Schwertl

Veröffentlichung:

März 2019

Entwicklung der Positionspapiere des DBVC Präsidiums:

Im Mai 2017 veröffentlichte das DBVC Präsidium das erste Positionspapier. Alle bisher erschienen Positionspapiere des DBVC Präsidiums können Sie unter folgenden Links herunterladen:

  • Positionspapier 01: "Organisationsbezüge im Coaching" (Mai 2017)
  • Positionspapier 02: "New Work und Agilität"  (April 2018)
  • Positionspapier 03: "Akademisierung von Coaching-Weiterbildungen" (März 2019)
  • Positionspapier 04: "Beleuchten, was ausgeblendet wurde" (Februar 2020)
  • Positionspapier 05: "Gesellschaftliche Verantwortung im Berufsfeld Coaching" (November 2020)

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